Auf die Gefahr hin – too risky!? –, hier nicht die richtigen Worte zu finden. Auf die Gefahr hin, missinterpretiert zu werden. Auf die Gefahr hin, falsch interpretiert oder zitiert zu werden. Auf die Gefahr hin, die Gefühle der einen oder des anderen zu verletzen.
Aber wenn wir uns als Festival, als Jazzfestival für Musik, BeSinnung, Politik, Superheld:innen und das große Zusammensein verstehen, und uns hier den großen Humanisten, Pazifisten, feinen Beobachter und Menschen Hanns Dieter Hüsch als Captain Niederrhein zum Vorbild nehmen (oder uns einfach nur seine Texte, Gedanken oder Gedichte anschauen, anhören oder lesen), dann kommen wir gar nicht umhin, uns allein unter dem Aspekt der Menschlichkeit, zu Folgendem einmal zu äußern – und das sage ich hier ganz persönlich, als meine Meinung, die auch von großen Teilen des Teams getragen wird.
Ich möchte aber noch vorwegschicken, dass es mich genauso schmerzt, jetzt hier nicht über die Ukraine, über Myanmar, über Somalia, den Kongo, Afghanistan, Iran, Eritrea, Äthiopien – die Liste ist endlos – und das Leid der Menschen in vielen anderen Regionen bewaffneter Konflikte, Bürgerkriege hinreichend zu sprechen oder aufmerksam machen zu können.
Wir haben im Vorfeld die Konflikte auf dieser Welt versucht zu zählen – und konnten uns nicht mal einigen, wie viele es am Ende sind. Auf jeden Fall so viele, dass unsere vier Festivaltage nicht einmal ausreichen würden, um sie adäquat zu benennen oder zu verhandeln. Und doch wollten wir dieses Festival nicht passieren lassen, ohne zu sagen, wie sehr uns der Konflikt um Israel, den Gazastreifen und die Palästinenserinnen und Palästinenser berührt, beschäftigt und auch überfordert.
Ich weiß nicht, wie es euch geht. Es ist unheimlich kompliziert, ambivalent und schwer, dazu wirklich eine komplett klare Haltung zu entwickeln. Diese Haltung haben wir versucht, in unserem Programmheft zu verschriftlichen. Nach den terroristischen Überfällen am 7. Oktober durch die Hamas, bei denen 1139 Menschen auf schreckliche Art und Weise ermordet wurden, wurden bisher bis zu 40.000 Palästinenserinnen und Palästinenser bei israelischen Angriffen getötet und weit mehr als 60.000 Menschen verletzt – und es werden mehr.
Zu diesem Bild gehört aber auch die Situation jüdischer Menschen in Deutschland: Sie können sich aktuell nicht mehr sicher fühlen, ohne ihre Identität zu verstecken; jüdische Verantwortungsträgerinnen und -träger können nicht mehr ohne massiven Personenschutz (teilweise drei Personenschützer:innen für eine Person) in die Öffentlichkeit gehen. Dies darf in Deutschland 2024 einfach nicht wahr sein.
Wenn im Rahmen dieses Festivals einige Künstler:innen sich vielleicht einseitig positionieren mit „Free Palestine“-Rufen – und das auch getan haben – und auch hier im Publikum dafür Beifall laut wurde, entspricht dies nicht unserer Auffassung als Festival und es ist auch nicht meine persönlichen Überzeugung und Meinung, und wir distanzieren uns in dem Fall von einzelnen, hier getroffenen Aussagen einzelner Künstler:innen.
Wenn wir bei diesem Festival vor allem die „Superkraft“ der Menschlichkeit herausstellen wollen, dann ist doch das erste und vielleicht einzige, was wir tun können, das unermessliche Leid auf beiden Seiten anzuerkennen.
In Israel wurden am 7. Oktober Familien, Kinder, Babys und Besucherinnen eines Festivals auf grausamste Weise ermordet. Und Im Gazastreifen begraben inzwischen vierjährige Kinder ihre eigenen Eltern, weil niemand mehr da ist, der das sonst noch tun könnte.
Es geht um die Anerkennung des unermesslichen Leids der Menschen auf beiden Seiten. Würden wir dies hier nicht einmal zumindest so aussprechen, bei diesem Festival, werden wir uns später wahrscheinlich schämen, weil wir es jetzt, 2024, nicht getan haben.
Oder mit Hüsch: … und das wollte ich hier in Moers mal sagen.
Tim Isfort
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